
Leider habe ich es nicht geschafft, beim diesjährigen Weihnachtskleid Sew Along mitzumachen. Aber ein Kleid für Weihnachten genäht habe ich trotzdem, und das gibt es weiter unten zu sehen, denn ich liebe es sehr! Schöne Näh-Erfahrungen waren auch wirklich nötig, nachdem ich viel viel Zeit mit einem Mantel verbracht habe, der mich weder glücklich macht, noch mich wenigstens richtig warm hält. Nun ja.
Dass ich mir gerne etwas Festliches nähen wollte, hat auch damit zu tun, dass mein kleines Näh-Universum kürzlich einmal komplett umgekrempelt wurde, und zwar durch die Lektüre dieses Buches: Linda Przybyszewski, The lost art of dress.
Die Autorin beschreibt, was Mädchen an US-amerikanischen Schulen zwischen 1900 und 1950 über Kleidung lernten – über vorteilhaftes Design, kostenbewussten Aufbau einer sinnvollen Garderobe und stilsichere Wahl des dem Anlass entsprechenden Outfits. Ich würde gerne ausführlicher darüber schreiben, auch über die gesellschaftspolitischen Implikationen usw., aber mein Versuch führte zu einem ziemlich trockenen Endlos-Post, also empfehle ich lieber das Buch zur Lektüre und beschränke mich hier auf meine persönlichen Erkenntnisse:
Grob gesagt gab es bisher zwei Kategorien in meinem Kleiderschrank: Sachen, mit denen ich eigentlich nicht mal dem Briefträger begegnen mochte – die trug ich zu Hause, egal ob zur Hausarbeit oder abends auf dem Sofa. Und das, was ich zur Arbeit und überhaupt für alle Gelegenheiten außer Haus trage: Röcke und Blusen, semi-elegant aber nicht sehr bequem, und insgesamt eher nüchtern. Damit hatte ich weder nach unten noch nach oben viel Spiel auf der Eleganz- oder auch der Bequemlichkeits-Skala.
Nach Lesen des Buches war mir klar: Ich brauche keine weiteren Büroklamotten. Ich brauche bequeme, aber hübsche Sachen für die Nachmittage mit Haushalt und Kindern; ein bisschen was Glamouröseres für Sonntage, Partys, zum Ausgehen; irgendwann mal wieder ein langes Abendkleid; und, dringend: gemütliche und trotzdem schöne Sachen für den Feierabend.

Als Erstes hab ich mir also Lounging Pajamas genäht – die kamen in den Zwanzigern auf, allerdings eher aus (Kunst-)Seide, Crepe u.ä., wie man sie hier bewundern kann (etwas im Post nach unten scrollen). Meine sind eine Winterversion aus Jersey, und auch vom Schnitt her eher Zwanziger-inspiriert als authentisch, aber dennoch: Wenn die Kinder abends schlafen und auch sonst nix mehr erledigt wird, ziehe ich mich nochmal um – dann habe ich es gemütlich und fühle mich trotzdem gut angezogen (schließlich ist das ja auch die Zeit, die ich mit meinem Liebsten verbringe), und weiß, dass der nun vor mir liegende Teil des Abends ausschließlich den schönen Dingen des Lebens gehört. Klingt vielleicht etwas umständlich, fühlt sich aber super an!
Das nächste war ein Pullover, der endlich fertig wurde, und der nun meinen Zuhause-Nachmittagen und der Freizeit gewidmet ist.



Und dann das oben erwähnte Kleid. Coco Chanel (die mir im Übrigen herzlich unsympathisch ist) wird neben vielem anderen zugeschrieben, Jerseystoff, bis dahin nur für Unterwäsche verwendet, in den Zwanzigern erstmals salonfähig gemacht zu haben. Nun gucke ich mir seit langem Jerseys an und kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man daraus etwas nähen sollte, das irgendwie authentisch für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts aussähe. Bis ich auf diesen wunderbaren (hier zweiseitig verwendeten) Stoff stieß:

Ich habe erstmal ein Stück davon in Rot gekauft (für’s Lounging Ensemble). Am nächsten Tag habe ich entschieden, dass dies nicht der richtige Moment zum Sparen ist, und habe die Reste vom roten und vom blauen Stoff komplett aufgekauft. Naja, das war vielleicht ein bisschen übertrieben, aber es macht mich trotzdem glücklich, mehrere Meter davon in meiner Kommode liegen zu haben. Und er verarbeitet und trägt sich super. Da ich seit Jahren fast ausschließlich Kleidung aus Webstoff getragen habe, bin ich völlig hin und weg von diesem Tragekomfort!

Den Schnitt hab ich mir wie immer selbst zusammengebastelt. Diese Art tief gezogener Ausschnitt mit einem Einsatz war sehr populär in der Mitte der Zwanziger Jahre, so wie z.B. hier (in einer Abbildung aus T. Skinner: Flapper Era Fashions):

Lange Bänder und Schleifen sowieso. Die Gürtelschnalle ist, denke ich, aus den 30ern. Dass der Rock sich vorne so hoch zieht, hat mit fehlenden Hüften und Bauch der Schneiderpuppe zu tun, an mir sieht das besser aus. Die schrägen Falten von der Brust zur Hüfte sind allerdings dem Schnitt geschuldet – und authentisch.

Das Kleid wurde ab der Fertigstellung am 24.12. mittags über die Feiertage und Ferien fast durchgehend getragen, seitdem nur noch Sonntags – ich stelle nämlich fest, dass sie damals recht hatten: Es wertet wirklich jeden Bereich meines Lebens auf, wenn ich ihm angemessene und schöne Kleidung widme (auch die Hausarbeit …). Es hilft außerdem, zwischen Arbeit und Fest und Mußestunden tatsächlich zu unterscheiden. Und es hat meine Liste der begehrenswerten Kleidungsstücke erheblich erweitert, es gibt also viel zu träumen und zu planen, und was könnte besser sein?!