Glamour für die Couch

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… oder eigentlich: für die Loggia.

In diesem Jahr war meine große Tochter erstmals mit den Pfadfinderinnen unterwegs und nicht mit uns im Urlaub. Sie fehlte mir, aber jede Wolke hat bekanntlich einen Silberstreifen – in diesem Fall: kinderfreie Abende, wenn der Lütte schon im Bett ist. Als mir das einige Wochen vor dem Urlaub klar wurde, schlug die Stunde für etwas, das ich schon lange lange haben wollte: Lounging pajamas – nicht in der kuscheligen Winterversion (die ich allerdings auch sehr mag und oft trage), sondern, authentischer und edler, in zarterem Stoff und ein bisschen hübsch gemacht.

Die Bilder (aus: Art Deco Fashion, Pepin Press und Pel/Pepper: 1920s Jazz Age) zeigen Ensembles teils für den Strand, teils für Mußestunden – zum Schlafen wurde sowas anfangs eher nicht getragen. Hart arbeitende Frauen (z.B. im Bergbau) hatten ja schon früher Hosen getragen, aber als korrekte und modische Kleidung tauchten sie erstmals in den 1920ern auf – eben am Strand, als Abendkleidung (gewagt!) oder für den Feierabend.
Wie man solche Ensembles in den Zwanzigern in Deutschland nannte oder ob sie überhaupt sehr verbreitet waren, weiß ich leider nicht – das gälte es mal zu recherchieren.

Meins jedenfalls sieht so aus:

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Seide war leider finanziell nicht drin, also habe ich eine leichte Viskose (Mahler Stoffe, Hamburg) genommen, die übrigens ganz glatt ist – ich war nur für das Urlaubsfoto zu faul zum Bügeln. Die Marlenehose und das Hemd entstanden nach meinen Basis-Schnitten und waren schnell genäht. Für die Jacke habe ich einen Schnitt aus diesem Buch genommen:

Das ist übrigens sehr zu empfehlen! Es ist das erste Buch, das mir begegnet ist, das sich aus moderner Sicht mit dem Nähen von Kleidung aus den Zwanzigern beschäftigt, und zwar nicht in der Huch-ich-brauche-schnell-irgendwas-für-die-Great-Gatsby-Party!-Art, sondern weitgehend authentisch. Auch dann lesenswert, wenn man sich schon recht eingehend mit dem Thema beschäftigt hat. Anhand originialer Kleidungsstücke wurden Schnitte erstellt und Anleitungen zur Umsetzung gegeben. Der einzige Haken aus meiner Sicht: Die Originale werden nicht immer komplett abgebildet. So ist das Bild oben rechts leider nur die Reproduktion.
Jedenfalls, die Jacke war, wie sich herausstellte, deutlich zu schmal für mich, was zu etwas Rumgeflicke, mehrfachem Ärmeleinsetzen (meiner Spezialdisziplin) und schließlich dieser Rückenansicht führte:

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Hat also ein gutes Ende genommen.

Bei der Stickerei gäbe es generell schon noch Luft nach oben, sowohl, was die Sorgfalt bei der Ausführung als auch, was das Design angeht – das finde ich nun doch etwas simpel und außerdem ist es ungeplant so alpenländisch geraten. Aber es sollte ja schließlich auch irgendwann mal fertig werden, was dann trotz mühsamen Gestichels auf der Autobahn doch noch bis zum vierten Urlaubstag gedauert hat. Bei der Bluse entstand das mehr oder weniger in Freihand, bei der Jacke habe ich es mal mit Solufix probiert. Das kann man beschreiben oder bedrucken, klebt es auf den Stoff, stickt darüber und legt es anschließend in Wasser, dann löst es sich auf. An sich ist das super, aber für Handstickerei sollte man es sich gut überlegen – Hände und Nadel werden ziemlich klebrig davon, es ist recht anstrengend zu durchstechen und dadurch wird auch der Stoff ganz schön herumgezerrt. Ich war schon sehr froh, als das Ganze fertig war.

Während des Nähens stellte ich übrigens fest, dass der blaue Stoff in Textur und Farbe perfekt zu meinem mißglückten Hawaii-Kleid passt, so habe ich das Rockteil davon kurzerhand abgeschnitten, einen Bund angesetzt, und habe nun noch eine zweite Bluse zur Hose.

Was soll ich also sagen? Ich liebe es! Das Ganze trägt sich hervorragend an warmen Sommerabenden und ist sehr bequem und trotzdem elegant. Die Jacke geht auch super überm Nachthemd zum Frühstück. Der Aufwand hat sich also ganz und gar gelohnt.

Ich verlinke den Post mit dem Me Made Mittwoch. Viel Spaß auch dort mit anderen schönen Sommersachen!

Neue Pläne

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Leider habe ich es nicht geschafft, beim diesjährigen Weihnachtskleid Sew Along mitzumachen. Aber ein Kleid für Weihnachten genäht habe ich trotzdem, und das gibt es weiter unten zu sehen, denn ich liebe es sehr! Schöne Näh-Erfahrungen waren auch wirklich nötig, nachdem ich viel viel Zeit mit einem Mantel verbracht habe, der mich weder glücklich macht, noch mich wenigstens richtig warm hält. Nun ja.

Dass ich mir gerne etwas Festliches nähen wollte, hat auch damit zu tun, dass mein kleines Näh-Universum kürzlich einmal komplett umgekrempelt wurde, und zwar durch die Lektüre dieses Buches: Linda Przybyszewski, The lost art of dress.

Die Autorin beschreibt, was Mädchen an US-amerikanischen Schulen zwischen 1900 und 1950 über Kleidung lernten – über vorteilhaftes Design, kostenbewussten Aufbau einer sinnvollen Garderobe und stilsichere Wahl des dem Anlass entsprechenden Outfits. Ich würde gerne ausführlicher darüber schreiben, auch über die gesellschaftspolitischen Implikationen usw., aber mein Versuch führte zu einem ziemlich trockenen Endlos-Post, also empfehle ich lieber das Buch zur Lektüre und beschränke mich hier auf meine persönlichen Erkenntnisse:

Grob gesagt gab es bisher zwei Kategorien in meinem Kleiderschrank: Sachen, mit denen ich eigentlich nicht mal dem Briefträger begegnen mochte – die trug ich zu Hause, egal ob zur Hausarbeit oder abends auf dem Sofa. Und das, was ich zur Arbeit und überhaupt für alle Gelegenheiten außer Haus trage: Röcke und Blusen, semi-elegant aber nicht sehr bequem, und insgesamt eher nüchtern. Damit hatte ich weder nach unten noch nach oben viel Spiel auf der Eleganz- oder auch der Bequemlichkeits-Skala.

Nach Lesen des Buches war mir klar: Ich brauche keine weiteren Büroklamotten. Ich brauche bequeme, aber hübsche Sachen für die Nachmittage mit Haushalt und Kindern; ein bisschen was Glamouröseres für Sonntage, Partys, zum Ausgehen; irgendwann mal wieder ein langes Abendkleid; und, dringend: gemütliche und trotzdem schöne Sachen für den Feierabend.

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Als Erstes hab ich mir also Lounging Pajamas genäht – die kamen in den Zwanzigern auf, allerdings eher aus (Kunst-)Seide, Crepe u.ä., wie man sie hier bewundern kann (etwas im Post nach unten scrollen). Meine sind eine Winterversion aus Jersey, und auch vom Schnitt her eher Zwanziger-inspiriert als authentisch, aber dennoch: Wenn die Kinder abends schlafen und auch sonst nix mehr erledigt wird, ziehe ich mich nochmal um – dann habe ich es gemütlich und fühle mich trotzdem gut angezogen (schließlich ist das ja auch die Zeit, die ich mit meinem Liebsten verbringe), und weiß, dass der nun vor mir liegende Teil des Abends ausschließlich den schönen Dingen des Lebens gehört. Klingt vielleicht etwas umständlich, fühlt sich aber super an!

Das nächste war ein Pullover, der endlich fertig wurde, und der nun meinen Zuhause-Nachmittagen und der Freizeit gewidmet ist.

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Und dann das oben erwähnte Kleid. Coco Chanel (die mir im Übrigen herzlich unsympathisch ist) wird neben vielem anderen zugeschrieben, Jerseystoff, bis dahin nur für Unterwäsche verwendet, in den Zwanzigern erstmals salonfähig gemacht zu haben. Nun gucke ich mir seit langem Jerseys an und kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man daraus etwas nähen sollte, das irgendwie authentisch für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts aussähe. Bis ich auf diesen wunderbaren (hier zweiseitig verwendeten) Stoff stieß:

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Ich habe erstmal ein Stück davon in Rot gekauft (für’s Lounging Ensemble). Am nächsten Tag habe ich entschieden, dass dies nicht der richtige Moment zum Sparen ist, und habe die Reste vom roten und vom blauen Stoff komplett aufgekauft. Naja, das war vielleicht ein bisschen übertrieben, aber es macht mich trotzdem glücklich, mehrere Meter davon in meiner Kommode liegen zu haben. Und er verarbeitet und trägt sich super. Da ich seit Jahren fast ausschließlich Kleidung aus Webstoff getragen habe, bin ich völlig hin und weg von diesem Tragekomfort!

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Den Schnitt hab ich mir wie immer selbst zusammengebastelt. Diese Art tief gezogener Ausschnitt mit einem Einsatz war sehr populär in der Mitte der Zwanziger Jahre, so wie z.B. hier (in einer Abbildung aus T. Skinner: Flapper Era Fashions):

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Lange Bänder und Schleifen sowieso. Die Gürtelschnalle ist, denke ich, aus den 30ern. Dass der Rock sich vorne so hoch zieht, hat mit fehlenden Hüften und Bauch der Schneiderpuppe zu tun, an mir sieht das besser aus. Die schrägen Falten von der Brust zur Hüfte sind allerdings dem Schnitt geschuldet – und authentisch.

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Das Kleid wurde ab der Fertigstellung am 24.12. mittags über die Feiertage und Ferien fast durchgehend getragen, seitdem nur noch Sonntags – ich stelle nämlich fest, dass sie damals recht hatten: Es wertet wirklich jeden Bereich meines Lebens auf, wenn ich ihm angemessene und schöne Kleidung widme (auch die Hausarbeit …). Es hilft außerdem, zwischen Arbeit und Fest und Mußestunden tatsächlich zu unterscheiden. Und es hat meine Liste der begehrenswerten Kleidungsstücke erheblich erweitert, es gibt also viel zu träumen und zu planen, und was könnte besser sein?!